Schattenseite

Ich glaube, wenn man meinen Blog hier so liest und etwas verfolgt, wirkt Kolumbien wie das schönste Land, was es gibt. Das ist es mit Sicherheit auch, aber ich berichte natürlich auch hauptsächlich von den wirklich schönen und guten Erfahrungen, die ich so gemacht habe. 

Jetzt neigt meine Zeit hier langsam zu Ende und es ist mir sehr wichtig, auch einmal einen ehrlichen Blick auf die vielleicht nicht so schönen Eindrücke zu werfen. Dabei liegt es mir sehr am Herzen zu erwähnen, dass all diese Eindrücke und Erzählungen alle meine eigenen sind. Also meine Erfahrungen, Wahrnehmungen und Gefühle. Sie werden vielleicht für den ein oder anderen nicht verständlich sein oder von anderen Meinungen abwägen, aber dadurch, dass es hier mein Blog ist und um meine persönliche Sicht geht, denke ich, darf ich meine Meinung frei teilen, und ja, natürlich ist es sehr subjektiv. 

Aber ich denke, es ist sehr interessant, auch einmal einen Eindruck in die negativen Seiten Kolumbiens bzw. meiner Zeit hier zu bekommen.

Als ich entschieden habe, nach Kolumbien zu gehen, habe ich sehr viele Sprüche, sehr viele Fragen und vor allem Sorgen von Menschen um mich herum wahrgenommen. “Oh Gott, da werden so viele Drogen genommen”, “Pass bloß auf, dass du da nicht abgeknallt wirst”, “Die klauen da einem doch alles weg”, “Du als kleine weiße Frau wirst dort niemals klar kommen” usw. es waren sehr viele Ängste, die durch Vorurteile ausgedrückt wurden. Natürlich kennt man als normaler deutscher Bürger ohne großes Südamerika Interesse nur das, was man Großes in den Nachrichten hört, oder aus den Geschichten über Pablo Escobar etc. Ich selbst wusste auch nicht viel mehr, als ich mich auf meine Reise vorbereitet habe. Deswegen hier vielleicht ein winzig kleiner Einblick:

Kolumbien ist ein Land, das in den letzten Jahrzehnten eine komplexe Geschichte in Bezug auf Politik und Sicherheit erlebt hat. Politisch gesehen ist Kolumbien eine demokratische Republik mit einem mehrparteiischen System. Es hat jedoch auch Zeiten politischer Instabilität durchlebt, einschließlich des bewaffneten Konflikts mit verschiedenen Guerillagruppen und Paramilitärs.

Der bewaffnete Konflikt, insbesondere mit der FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens), war über fünfzig Jahre lang ein zentraler Bestandteil der kolumbianischen Realität. 2016 wurde ein historisches Friedensabkommen zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC unterzeichnet, das einen Meilenstein im Friedensprozess darstellte, obwohl es Herausforderungen bei der Umsetzung gab.

Sicherheitsmäßig hat sich die Lage in Kolumbien verbessert, aber einige Herausforderungen bleiben bestehen, wie z.B. organisierte Kriminalität, Drogenhandel und soziale Ungleichheit. Die Regierung setzt sich weiterhin für die Stärkung der Sicherheitskräfte und die Förderung von Entwicklungsprogrammen in ländlichen Gebieten ein, um diese Probleme anzugehen.

In den letzten Jahren hat Kolumbien auch wirtschaftliche Fortschritte gemacht und sich international stärker integriert. Trotzdem bleibt die Sicherheitslage eine wichtige Herausforderung für das Land auf seinem Weg zu Stabilität und Wohlstand. 

Fun Fact am Rande; der aktuelle Präsident Kolumbiens, Petro, ist Ex-Guerilla-Mitglied.

(Ich kann total empfehlen sich mehr über die Geschichte Kolumbiens zu informieren, denn es ist wirklich sehr interessant)

Vor unserer Abreise wurden wir über einiges informiert und haben auch in den ersten Tagen sehr viel Input zum Thema Sicherheit etc. bekommen. Dazu kommt, dass es in Kolumbien immer noch sehr viele “rote Zonen” gibt, die durch das Auswärtige Amt festgelegt werden. Es sind Zonen, die uns verboten sind, zu betreten oder in die Nähe zu kommen, da dort immer noch aktive bewaffnete Auseinandersetzung der Guerilla-Gruppen, Paramilitären oder Anderer herrscht. 

Mein Gastpapa beispielsweise musste früher eine lange Zeit als Polizist aktiv gegen die Guerilla kämpfen. Ich habe viele lange Gespräche mit ihm darüber geführt, ich durfte sehr viel über seine Erfahrung lernen, wie viele Menschen er umgebracht hat, konnte und wollte er mir nicht sagen. Mein älterer Gastbruder ist zurzeit in irgendeinem Urwald in einem aktiv umkämpften Gebiet an der Pazifikküste Kolumbiens im Militär gegen bewaffnete Truppen. 

Eine gute Freundin von mir ist aus ihrem Heimatort an der Grenze zu Venezuela aufgrund der gefährlichen Lage geflohen und lebt nun als Vertriebene mit ihrer Familie in Villa de Leyva.

Die Stadt, in der ich hier lebe, Tunja, ist eine der sichersten Städte Kolumbiens. Das merkt man total, vor allem nachdem man einmal ein paar andere Städte kennengelernt hat. Dennoch wird es uns empfohlen, nachts nicht alleine unterwegs zu sein, im dunklen nicht mehr Bus zu fahren und sich von großen Menschenmengen fernzuhalten. 

Als weiße blonde Frau fällt man hier überall auf, natürlich nochmal mehr in kleineren Dörfern als in der Metropole Bogotá, aber man ist und bleibt überall eine Sehenswürdigkeit für die Kolumbianer. Das kann einerseits total angenehm sein, aber auch echt anstrengend, denn man wird durchgehend angeglotzt, und zwar wirklich von fast jedem. 

Und dann ist da das Catcalling. Es wird sehr viel hinterhergerufen und gepfiffen. Eigentlich ist der Großteil der Dinge, die gesagt werden, sehr respektvoll “wie schön man sei” oder Ähnliches, aber natürlich gibt es auch sehr viel Müll, der gesagt wird. In einem Taxi hat mir einmal ein Taxifahrer ausführlich erklärt, was er gerne sexuell alles mit mir erleben würde und am liebsten in dem präsenten Moment..

Was mich ehrlich gesagt ebenfalls besonders stört, ist, dass die Männer einen in der Anwesenheit von Frau und Kindern anhimmeln und das auch nicht wenig. Da ist es vielleicht auch interessant, kurz zu erwähnen, dass hier die Fremdgeh Kultur größer ist als Vertrauen und Treue. Jeder betrügt Jeden, die meisten Typen haben eine “Liebhaberin”. In meiner Gastfamilie hat ein entferntes Familienmitglied seit 7 Jahren seine Frau mit einer anderen betrogen, während sie gemeinsame Kinder hatten. Die ganze Familie wusste es, aber niemand hat etwas gesagt, “man wollte nicht im blöden Licht stehen”. Ich finde das ganz schön traurig, denn man kann niemandem trauen. Somit werden die Beziehungen hier auch sehr schnell sehr überwachend und toxisch. 

Als Frau in Kolumbien ist man sowieso schonmal ziemlich arm dran. Femizide, Vergewaltigungen, Prostitution, Zwangsprostitution von Kindern oder Kinderhandel, vor allem der Verkauf junger Mädchen, stehen hier auf dem Tagesprogramm. Mein Gastvater hat erzählt, dass es vor allem in ländlichen Gebieten viele Mütter gibt, die ihre Töchter aus Armut an alte Männer verkaufen, um irgendwie überleben zu können. 

Feminismus wird hier als brutal, aggressiv und Feministinnen als verrückt angesehen. In der Theaterszene in Tunja wurde eine Vergewaltigung aufgedeckt, meine Theaterleute haben das alles in Frage gestellt und gemeint, das Mädchen würde nur Aufmerksamkeit wollen und es wahrscheinlich nur bereuen. 

In Medellin, einer weiteren Großstadt Kolumbiens, wird Airbnb aktuell verboten, weil es nur zum Missbrauch junger Frauen und endlosen Drogenkonsum genutzt wird, und das vor allem von Ausländern, das ist so widerlich. 

Ich selber wurde mehrmals sexuell belästigt, auf der Straße oder in Verkehrsmitteln an intimen Körperstellen angefasst, immer in Großstädten. Es sind unfassbar beschissene Erfahrungen und man fühlt sich so verdammt hilflos in diesem Land, in dem Machismus ein extrem großes Problem ist. Ich hätte so gerne in vielen Situationen direkt reagiert und mich gewehrt, doch ich muss ganz ehrlich sagen, ich hatte so eine Angst, dann dabei noch mehr verletzt zu werden, geschweige denn dabei draufzugehen. 

Mein Sicherheitsgefühl hat sich über das Jahr sehr viel gewandelt. Es war auch von Stadt zu Stadt sehr unterschiedlich, verschiedene Viertel, spätere Tageszeiten spielten dabei auf jeden Fall auch eine große Rolle, wie auch die Begleitung mit der man unterwegs ist. Grundsätzlich war ich kaum alleine unterwegs und das war auch besser so. Denn wir waren oft in “ärmeren” und somit „gefährlicheren“ Gegenden untergebracht und haben dementsprechend nicht nur die “Luxusreise Erfahrung” bekommen, in der man nur in den mega Touri Plätzen unterwegs ist, sondern auch ein wenig mehr von der teilweise echt traurigen Realität Kolumbiens mitbekommen. 

Man hat uns in mehreren Städten vor der Umgebung gewarnt; in Cartagena wurde uns gesagt, dass ein paar Ecken weiter das Kartell und der Drogenbaron sitzen würden und wir nicht alleine rumlaufen dürften. 

In Bogotá wurde das erste Handy in unserer Gruppe geklaut, im Bus an einer Haltestelle in einem der gefährlichsten Viertels Bogotás, die Polizeit hat uns dann anschließend dadurch begleitet um das Handy zu suchen und es war wirklich verdammt unangenehm, selbst mit Polizeit war die Stimmung echt beängstigend.

In Tunja wurde ich vor ein paar Wochen versucht, in einem Taxi auszurauben. Zwar ein Glück ohne Erfolg und Verletzung, aber mit anhaltender Panik in mir.

In Medellin habe ich das erste Mal eine Leiche gesehen.

In Villa de Leyva wurde ein kleines Mädchen vor mir von ihrer Nanny mit einem Stock zusammengeschlagen.

In der Schule kommen die Kinder mit offenen Wunden, riesigen blauen Flecken, fehlenden Zähnen oder ohne Essen in den letzten Tagen auf mich zu, um Hilfe zu suchen.

All das sind ein paar Erfahrungen, die mich in einer Art und Weise geprägt haben, die ich selbst noch nicht ganz greifen kann. 

Armut, Gewalt, Drogen, Misshandlung, Diebstahl und Mord, waren, sind und bleiben ein extrem großes Problem in Kolumbien, in Großstädten, aber auch in winzig kleinen Orten. Natürlich gab es in den letzten Jahrzehnten große Veränderungen in eine positive Richtung, aber meiner Meinung nach hat das Land noch ein paar riesengroße Herausforderungen zu meistern. Und das möglichst schnell, um jede unschuldige Menschenseele zu retten.

Ich könnte noch viel mehr schreiben, zum Thema Religion, zur politischen Lage aktuell, Korruption oder Vertreibung und noch weiteres, aber das hebe ich mir für einen weiteren Beitrag oder dann für persönliche Gespräche wieder in Deutschland. 

Ich erwähne noch einmal, all das sind meine persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen, die ich subjektiv bewerte, es ist ein Teil meiner Zeit und ein Teil des Kolumbiens, wie ich es wahrgenommen habe. Ich bitte darum damit respektvoll umzugehen, Dankeschön <3